Enrique Fierro wurde 1942 in Montevideo, Uruguay, geboren. An der Universität von Montevideo studierte er Literatur, danach lehrte er dort Literaturtheorie und veröffentlichte zahlreiche Bücher im Bereich der Lyrik, Literaturkritik und Übersetzung. Er übersetzte u.a. William Shakespeare, Jean Genet, Paul Eluard und Ezra Pound. Während der uruguayischen Militärdiktatur (1973-1984) lebte er aus politischen Gründen im Exil in Mexiko, wo es ihn auch später immer wieder hinzog, da er mit dem literarischen Leben Mexikos eng verbunden und vertraut ist. In der ersten Demokratisierungsphase seines Heimatlandes Uruguay kehrte er 1985 nach Montevideo zurück und war Direktor der uruguayischen Nationalbibliothek bis zum Jahr 1989. Seither lebt er in Austin, Texas (USA) und lehrt Zeitgenössische Hispanoamerikanische Literatur an der University of Texas. Für sein Werk erhielt er mehrere Preise, u.a. den Lyrikpreis des Landes Uruguay, den Lyrikpreis der Stadt Montevideo und den Übersetzerpreis der Theaterkritiker Uruguays. Er gehörte zum Redaktionsbeirat der uruguayischen Zeitschriften »Maldoror« und »Poética« sowie der mexikanischen Kultur- und Literaturzeitschrift »Vuelta«. Heute arbeitet er für folgende Zeitschriften: »Río de la Plata« (Paris), »Cuadernos Americanos« und »Paréntesis« (beide: Mexiko-Stadt) sowie »El pez y la serpiente« (Managua).
Seit seinem Debüt 1964 mit dem Titel »De la invención« (»Von der Erfindung«) und seinem Zweitwerk »Mutaciones« (Gedichte 1963-1966), für den er 1972 mit dem Lyrikpreis der Stadt Montevideo ausgezeichnet wurde, führte er eine experimentelle Neuorientierung in die uruguayische Poesie ein, welche in der abstrakten und zelebralen Tradition Mallarmés die Grenzen von Sprache, Schrift und Ausdruck kreativ auslotet. Seine offene Poetik der semantischen Un-bestimmtheit, der Spannung zwischen Verrätselung und sprachlicher Genauigkeit, die kleinste Wortpartikel miteinbezieht, ist eine radikale Abkehr von der traditionellen Rhetorik und der konventionellen Musikalität.
Sein bisweilen ironischer Sprachimpuls der emotionalen Intelligenz geht stets über das Thema hinaus und oszilliert zwischen Lesen/Schreiben, Sagen/Schweigen, Singen/Erzählen, Darstellen/Verbergen, Vision/Version, Zeichen/Objekt und Raum/Klang. Enrique Fierro veröffentlichte bis heute mehr als dreißig Lyrikbände, die er einmal als ein »Anti-Establishment-Projekt« bezeichnete und in denen er als einer der ersten lateinamerikanischen Lyriker beispielsweise die kompositorischen Techniken von e.e. cummings in die spanische Poesiesprache transponierte. Der uruguayische Lyriker und Kritiker Luis Bravo charakterisiert sein poetisches Werkschaffen als analytische Ergänzungen im Gedicht, mit deren »möglichen Hin- und Herbewegungen diese Poesie sich selbst hinterfragt«. In seinem längeren Poem »Umsonst, ergänzend« wird dieses Formmotiv folgendermaßen entwickelt: »die Handlung des Gedichts/einfach und genügsam/aber dieses gleiche Bild/wegen eines Schattenhiebs/und der rohen Wirklichkeit der Erinnerung/ist die unsterbliche Ballade zwischen Text und Figuren«.
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