Emily Nasrallah
- Zu Gast beim ilb: 2005
Emily Nasrallah wurde 1931 in eine christliche Familie im Südlibanon geboren und ist eine der anerkanntesten libanesischen Schriftstellerinnen und Intellektuellen des Nahen Ostens. Ihr vielfach ausgezeichnetes Werk umfasst neben Romanen, Essays und Erzählbänden für Erwachsene auch sieben Kinderbücher. Mit 21 Jahren war sie die erste junge Frau, die der Dorfgemeinschaft ihres Geburtsortes Kfeir den Rücken kehrte, um an der American University in Beirut Erziehungswissenschaften zu studieren. In der Hauptstadt arbeitete sie zunächst als Lehrerin, dann als Journalistin und freie Schriftstellerin. 1962 debütierte sie mit dem Roman »Touyour Ayloul« (dt. »Septembervögel«, 1982), der sogleich mit drei arabischen Literaturpreisen prämiert wurde und begeisterte Reaktionen in ihrem Heimatland auslöste. Ihr feinfühliges Erstlingswerk befasst sich mit den Menschen eines kleinen Dorfes und den Träumen arabischer Frauen, die in ihrem Leben nur die Wahl zwischen totaler Unterwerfung oder Befreiung haben. Nasrallah begründete damit ein literarisches Werk, das sich bei aller Kritik an der libanesischen Gesellschaft doch immer voller Zuneigung mit ihrem Heimatland auseinandersetzt.
Im Zentrum ihrer Texte stehen die Lebensmodelle von Frauen, die in ihrem Streben nach Gleichberechtigung und freier Entfaltung hin- und hergerissen sind zwischen dörflich-familiärer Enge und urbaner Freiheit. Ihre Figuren sind beharrliche weibliche Widerstands- und Überlebenskämpfer gegen schicksalhafte oder tradierte gesellschaftliche Zwänge in einem Land, in dem Religion und Sippe prägend sind. Nicht selten entscheiden sich ihre Charaktere für das »passive Verharren«. Brechen sie jedoch aus, so finden sie meist keine neue Zugehörigkeit. So erzählt »Ar-Rahîna« (1974, dt. »Das Pfand«, 1996) in kunstvoll-metaphorischer Sprache die Geschichte Ranjas, die als junge Frau erfährt, dass ihre Eltern sie bei ihrer Geburt an den mächtigen Grundbesitzer Nimrod verpfändet haben – ihr gelingt es allerdings nicht, sich von ihrem Schicksal zu lösen.
Als 1975 der Libanon für mehr als fünfzehn Jahre in einen blutigen Bürgerkrieg versinkt, rückt der Gegensatz von Stadt und Land aus dem Blickwinkel ihrer Romanfiguren. Der ganze Libanon wird nun zu dem, was früher das Dorf war: ein Ort, von dem man sich nicht ungestraft entfernt. Ihre Romane und Erzählungen aus dieser Zeit sind Hilferufe aus einer implodierenden Gesellschaft. In ihrem preisgekrönten Kinderbuch »Yawmiyyat Hirr« (1997, dt. »Kater Ziku lebt gefährlich«, 1998) schildert die Autorin psychologisch einfühlsam aus dem Blickwinkel eines Siam-Katers und seiner Freundin, dem Mädchen Muna, die Kriegsschrecken des umkämpften Beirut in all ihrer bestürzenden Alltäglichkeit. Die distanzierte, aber nie verharmlosende Optik des Haustieres lässt die Geschehnisse noch unfassbarer erscheinen. Während ihre Figuren, Muna und ihre Familie, die Stadt verlassen, weigerte sich die Autorin selbst ins Exil zu gehen – obwohl ihr Hab und Gut dreimal Bombenangriffen vollständig zum Opfer fiel. Zusammen mit einer als »Beirut Decentrist« bezeichneten Gruppe von Schriftstellerinnen blieb sie in Beirut, wo die Mutter von vier Kindern auch heute lebt.
© internationales literaturfestival berlin
Al Jamr al Ghafi
Dar Naufal
Beirut, 1995
Das Pfand
Lenos
Basel, 1996
Übersetzung: Doris Kilias
Anda al-Khawta
Das al-Hadeetha
Beirut, 2001
Asswad wa-Abiad
Dar-al Koutab al Hadeetha
Beirut, 2001
Flug gegen die Zeit
Lenos
Basel, 2003
Übersetzung: Hartmut Fähndrich
Septembervögel
Lenos
Basel, 2003
Übersetzung: Veronika Theis
Kater Ziku lebt gefährlich
Atlantis
Zürich, 2004
Übersetzung: Doris Kilias
Ill: Maha Nasrallah
Ryah Janoubia
Dar Naufal
Beirut, 2005
Übersetzer: Hartmut Fähndrich, Doris Kilias, Helene Schär, Veronica Theis