Edwar al-Charrat
- Ägypten
- Zu Gast beim ilb: 2002
Edwar Al-Charrat wurde 1926 in Alexandria, Ägypten, geboren. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften, das er 1946 beendete, arbeitete er in einem britischen Marinedepot, unmittelbar danach bei der ägyptischen Nationalbank. Wegen Beteiligung an den Aktivitäten der antikolonialistischen Bewegung musste er eine zweijährige Gefängnisstrafe (1948-1950) verbüßen. Danach war Al-Charrat in verschiedenen Bereichen tätig, bevor er 1958 seine Arbeit als Zweiter Generalsekretär der „Solidaritätsorganisation Afro-Asiatischer Völker” sowie der „Afro-Asiatischen Schriftstellervereinigung” aufnahm, die er bis 1983 ausübte. Seitdem lebt er als freischaffender Autor in Kairo. Bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte er bis auf den ersten Erzählband „Hohe Mauern“ (1959) kaum eigene literarische Werke, war jedoch beständig als Literaturkritiker, Übersetzer, Herausgeber und Vertreter der ägyptischen Literatur auf internationaler Ebene tätig. Eine seiner wichtigsten Funktionen war und ist die Förderung neuer literarischer Formen und Stilrichtungen in Ägypten, für die er selbst den Begriff „Neue Sensibilität” geprägt hat. Als Al-Charrat Anfang der fünfziger Jahre zu schreiben begann, suchte er nach einem literarischen Weg jenseits des bis dahin vorherrschenden Realismus mit seinen traditionellen Begriffen von Raum und Zeit. Im Zentrum seiner Erzählungen und Romane steht die Macht des Erinnerns, das oftmals autobiographische Züge annimmt. In dem 1985 erschienenen vierten Roman „Safranerde“ geht es um die Erinnerungswelt Michael Kaldas’, der wie der Autor Kopte ist. In unverbundenen Episoden und Erinnerungsfetzen, die keiner Chronologie folgen, steigt in dem alternden Erzähler das Bild des kosmopolitischen Alexandriens der dreißiger und vierziger Jahre auf, des Alexandriens seiner Kinder- und Jugendzeit. Erlebnisse und Einflüsse, die die innere Entwicklung des Protagonisten bestimmt haben, werden evoziert: die Entdeckung der für den koptischen Jungen unbekannten Welt der muslimischen Nachbarn, das allmähliche Wahrnehmen des Körpers der Frau und der Sexualität, das Erwachen eines politischen Bewusstseins, das Eindringen in die geheimnisvolle Welt der Literatur. Dies alles verwoben mit poetischen Reflexionen über Sinnlichkeit, Liebe, Tod und Einsamkeit. Auch in dem zuletzt ins Deutsche übertragenen Buch „Die Steine des Bobello“ aus dem Jahr 1992 bleibt Al-Charrat seinem schriftstellerischen Credo der „Neuen Sensibilität” treu, das er einmal folgendermaßen zusammenfasste: „Die Erzählung ist nicht zwangsläufig ein Bericht über Ereignisse und Taten, egal ob in gerader oder gebrochener Chronologie. Erzählt werden kann auch von emotionaler oder gedanklicher Entwicklung, oder die Erzählung kann die Form einer dinglich-optisch-sinnlichen Beschreibung von Dingen oder Seelenregungen annehmen. Allein diese Art Beschreibung ist, meiner Vorstellung nach, wirkliche Erzählung. Das ist zumindest das, worauf ich abziele”. Edwar al-Charrat war Gast der Arabischen Liga an der Frankfurter Buchmesse 2004.
Der Autor verstarb am 1. Dezember 2015.
© internationales literaturfestival berlin
Safranerde
Lenos
Basel, 1985
Übersetzung: Hartmut Fähndrich
Die Steine des Bobello
Lenos
Basel, 2000
Übersetzung: Hatmut Fähndrich, Edward Badeen
Übersetzer: Edward Badeen, Hartmut Fähndrich