Dmitri Golynko
- Russland
- Zu Gast beim ilb: 2010
Dmitri Golynko wurde 1969 in Leningrad, UdSSR, geboren. Nach dem Studium der Kunsttheorie und Russischen Literatur promovierte er mit einer Arbeit über die russische Post-Avantgarde des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Er war 2004/2005 für zwei Jahre Gastprofessor am slawischen Institut der Cheongju Universität in Südkorea und ist zurzeit Forschungsbeauftragter am kunstgeschichtlichen Institut St. Petersburgs. Neben der Auseinandersetzung mit Film- und Medientheorie, die er unterrichtet, zeichnet er für zahlreiche Essays zu Themen der zeitgenössischen Kunst und Literatur verantwortlich, die in renommierten Zeitschriften Russlands erscheinen.
Dass der theoretische Hintergrund in Golynkos Leben auch auf das poetische Schaffen einwirkt, bestätigen all seine bisherigen Veröffentlichungen. In den ersten Gedichten, entstanden im letzten Atemzug der Perestroika und veröffentlicht 1994 unter dem Titel »Homo Scribens«, überwiegen lautmalerische Experimente, deren Ziel in einer rigorosen Dekonstruktion der vormaligen russischen Sprachwirklichkeit und Ideologie auszumachen ist. Hierbei orientiert er sich an der avancierten amerikanischen Poesie etwa Lyn Hejinians, Robert Duncans oder Charles Olsons, mit deren Werken er ab Mitte der 1980er Jahre in Berührung kam. Der Titel deutet das energische Talent des strengen Konzeptualisten und belesenen Literaturtheoretikers an: Der schreibende Mensch ist philosophisch inspirierter und sprachschöpferisch tätiger Poet, dem es um eine radikale Auffassung und Erneuerung modernen Lebens zu gehen hat. Im Anschluss an die Gedichtbände »Saschenka« (2001) und »Betonnye Golubki« (2003; Ü: Tauben aus Beton) präsentierte sich Golynko mit der 2008 auf Englisch erschienenen Sammlung seines poetischen Schaffens »As It Turned Out« nicht nur zum ersten Mal einem größeren Publikum, sondern erwies sich zudem als präziser Beobachter und messerscharfer Analytiker der postmodernen Gesellschaft. Wie er selbst sagt, schaffe er »eine Bricolage aus dekontextualisierten Fragmenten entfremdeter Ausdrücke, hinter denen kein Subjekt mehr steht«, um eine Kritik des Kapitalismus zu leisten, dessen unsichtbare Gewalt in einer Verbindung von Ökonomie und Begehren bestehe und die auf revolutionäre Kräfte direkt mit sanfter Repression reagiere. Dennoch ist Resignation seine Sache nicht: Ein Stachel ruhe in den Dingen, der stets noch die Hoffnung auf einen kreativen Freiraum berge, wie es der 2004 in »Die Horen« veröffentlichte Gedichtzyklus »Elementare Dinge« emphatisch zum Ausdruck bringt.
Dmitri Golynko war für den angesehenen Andrei-Bely-Preis nominiert. Der Autor lebt in St. Petersburg.
Homo Scribens
Borei-Art
St. Peterburg, 1994
Sashenka
Argo-Risk
Moskau, 2001
Betonnye Golubki
Novoe literaturnoe obozrenie
Moskau, 2003
As It Turned Out
Ugly Duckling Press
New York, 2008
[Ü: Eugene Ostashevsky, Rebecca Bella, Simona Schneider]