Charmaine Craig
Charmaine Craig wurde 1971 geboren und wuchs im kalifornischen Santa Monica auf. In Harvard studierte sie Literaturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Mittelalter und erhielt ihren Master of Fine Arts an der University of California in Irvine. Als Schauspielerin wirkte sie in mehreren Fernseh- und Kinoproduktionen mit.
Ihr Debütroman »The Good Men« (2002; Ü: Die guten Menschen) spielt im 14. Jahrhundert in dem südfranzösischen, zur Grafschaft Foix zählenden Bergdorf Montaillou, dessen Gemeindeleben anhand umfangreicher, aus Inquisitionsprozessen stammender Quellen u. a. durch den renommierten Mediävisten Emmanuel Le Roy Ladurie historiografisch präzise erschlossen wurde. Ausgehend von diesem historischen Rohmaterial, spinnt Craig mit großer Akkuratesse fiktionale Erzählfäden um die Ketzeranklagen und erweckt die Figuren in ihrer charakterlichen Komplexität zum Leben. Im Mittelpunkt des chronologisch erzählten und perspektivisch mäandernden Romans steht die Geschichte von Grazida Lizier, die ein Verhältnis mit dem örtlichen Pfarrer eingeht. Werden im tatsächlichen Verhör mit den päpstlichen Gesandten ihre Vorstellungen von Reinheit als naive Anverwandlung der Glaubenssätze der verfolgten Katharer ausgelegt, erscheinen sie bei Craig als Ausdruck unbeirrbarer Individualität, welche die eigenen Empfindungen über die Lehren der Obrigkeit stellt. Für »Miss Burma« (2017) ließ sich die Autorin von den Lebensläufen ihrer burmesischen Vorfahren inspirieren, welche wiederum mit der vom Bürgerkrieg geprägten Landesgeschichte verwoben sind. Während die Großmutter zur unterdrückten Volksgruppe der Karen gehörte, war der Großvater bis zu seiner Inhaftierung durch die Militärdiktatur ein erfolgreicher Industrieller, und Craigs Mutter Louisa erlangte gar ikonischen Status als eine von der Regierung mit Kopfgeld belegte Revolutionärin und Schönheitskönigin. Reicht der zeitliche Rahmen von der britischen Herrschaft über die japanische Invasion bis in die von fortwährenden Konflikten, Massakern an ethnischen Minderheiten und systematischer Ausschaltung Oppositioneller durchzogene Unabhängigkeit, tritt gleichwohl das inhärent Politische eher in den Hintergrund. Vielmehr wird ein intimes Porträt einer zerrissenen Familieneinheit gezeichnet, welche die Pluralität der Kulturen, Sprachen und Religionen in sich birgt, wobei jede*r Einzelne die erlittenen Verluste durch verschiedene Arten der Diskriminierung gegen den grundsätzlichen Wunsch nach Verbundenheit abwägt. Von der Literaturkritik enthusiastisch aufgenommen, stand der Roman auf zahlreichen Jahresbestenlisten und u. a. auf der Longlist des US-amerikanischen National Book Award for Fiction 2017 sowie des britischen Women’s Prize for Fiction 2018.
Craig lehrt Kreatives Schreiben an der University of California in Riverside. Zusammen mit dem Schriftsteller Andrew Winer und ihren Töchtern lebt sie in Los Angeles.
The Good Men
A Novel of Heresy
Riverhead Books
New York, 2002
Miss Burma
Grove Press
New York, 2017