Bianca Bellová
- Tschechische Republik
- Zu Gast beim ilb: 2018
Die tschechische Schriftstellerin mit bulgarischen Wurzeln Bianca Bellová wurde 1970 in Prag geboren. Nach einem Studium an der Wirtschaftsuniversität arbeitete sie zunächst als Übersetzerin und Dolmetscherin aus dem Englischen. Nach einer Reise durch Indien debütierte sie mit dem Roman »Green Curry«, gefolgt von »Sentimentální román« (2009; Ü: Sentimentaler Roman) und »Mrtvý muž« (2011; Ü: Toter Mann), einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte, die durch ihre Grausamkeit mit allen gängigen Klischees und Stereotypen der Frauenliteratur bricht.
Nach »Celý den se nic nestane« (2013; Ü: Nichts geschieht den ganzen Tag) erschien 2016 ihr Roman »Jezero« (dt. »Am See«, 2018). Bellová siedelt die Handlung ihrer bildstarken Parabel über die Umweltzerstörung in einem postsowjetischen, zentralasiatischen Dorf an. Dort leiden die Bewohner daran, dass sich der See zusehends in eine austrocknende Kloake verwandelt – dabei ist er wegen der dort ansässigen Fischkonservenfabrik eigentlich überlebenswichtig. Die Bewohner glauben an die Existenz eines böswilligen Seegeists, den sie nur bändigen zu können meinen, indem sie Todkranke oder Kriminelle in den See werfen. Der Protagonist des Romans, Nami, kann noch ein paar Jahre unbeschwerter Kindheit erleben, bis seine Großmutter stirbt und sein Haus kurzerhand vom Kolchosevorsitzenden bezogen wird. Als dann auch noch seine Freundin von russischen Soldaten vergewaltigt wird, geht er als Teenager allein in die Stadt. Dort findet er Arbeit in einer Schwefelfabrik und muss mit anderen Arbeitern in einer ärmlichen Gemeinschaftsunterkunft hausen. Doch eigentlich treibt ihn der Wunsch an, seine Mutter zu finden, von der ihm nur eine flüchtige Erinnerung geblieben ist. Auf seiner langen, qualvollen Odyssee gerät er schließlich an eine alte Dame, die ihn bei sich aufnimmt. Als er sich um ihren Garten kümmert, versteht er das Prinzip Zukunft: die Sorge um die Ernte des morgigen Tags. Nami findet seine Mutter und kehrt in sein Dorf zurück. Bellová zeigt mit ihrem in die vier Kapitel »Ei«, »Larve«, »Puppe« und »Imago« gegliederten Coming-of-Age-Roman, dass sich mit der Zerstörung der Natur auch gesellschaftliche und soziale Bindungen auflösen. Nami versucht der Perspektivlosigkeit dieser zugrunde gehenden Gesellschaft zu entkommen, indem er seine Wurzeln findet, dem überlieferten Aberglauben entgegentritt und in den verseuchten See eintaucht, um die Konfrontation mit dem vermeintlichen Geist zu wagen.
Für »Am See« wurde Bellová mit dem Literaturpreis der Europäischen Union und dem tschechischen Buchpreis Magnesia Litera ausgezeichnet. Ihre Kurzgeschichten erschienen in verschiedenen Anthologien. Außerdem ist sie Autorin der fiktiven Tagebuchblogs Adieu-my-karenina.blogspot.com und Beckys-secrets.blogspot.com.
Sentimentální roman
IFP Publishing
Prag, 2009
Mrtvý muž
Host
Brno, 2011
Celý den se nic nestane
Host
Brno, 2013
Am See
Kein und Aber
Zürich, 2018
[Ü: Mirko Kraetsch]