Bessora
- Frankreich
- Zu Gast beim ilb: 2002
Wenn es Biographien gibt, die der Rede von der Patchwork-Identität einen Sinn geben, dann sind es solche wie die von Bessora: 1968 wurde sie in Belgien geboren, der Vater stammt aus Gabun, die Mutter aus der Schweiz. Aufgewachsen ist sie in Afrika, Europa und den Vereinigten Staaten. Ihren ersten Hochschulabschluss erlangte sie in der Schweiz, später lebte sie in Paris, wo sie an einer Dissertation in Anthropologie arbeitete. Mit ihren ersten zwei Büchern hat sich Bessora bereits weltweit einen Namen gemacht. Beide Romane sind bei „Le serpent à plumes“ erschienen, jenem aufstrebenden Pariser Verlag, der unter seinen Autoren einige der aufregendsten frankophonen Stimmen versammelt hat. Neben Bessora erscheinen hier auch die Bücher von Alain Patrice Nganang, Alain Mabanckou und anderen jungen Schriftstellern, die das Erbe und die Auswüchse der französischen Kolonialgeschichte reflektieren und dabei mitunter zu drastischen sprachlichen Mitteln greifen. Nicht nur in Frankreich, wo Bessora neben der aus Kamerun stammenden Calixthe Beyala das Bild der durchaus glamourösen afrikanischen Schriftstellerin prägt, gehören ihre Romane deshalb zum Lesestoff an den Universitäten, auch in den USA ist man bereits auf den Geschmack gekommen. Und Bessoras Geschichten sind nicht nur gut gewürzt, sie sind scharf. „53 cm“ hieß ihr Debüt im Jahre 1999: Das Maß gibt den Umfang des Hinterns der Protagonistin an, einer jungen Mutter, die nach Frankreich eingewandert ist und dort um eine Aufenthaltsgenehmigung nachsucht. Die Autorin schreibt sich mit dieser Satire, in der aus der pseudo-naiven Perspektive einer Fremden eine Gesellschaft aufs Korn nimmt, die jeglichen Orientierungssinn eingebüßt hat und sich mit der Integration von Einwanderern als völlig überfordert erweist, in die burlesk-groteske Tradition à la Alfred Jarry und Raymond Queneau ein. Dabei ist, wie in Satiren üblich, der Hintergrund ein durchaus ernsthafter: der Rassismus der Bürokratien und ein großes Maß an Intoleranz. „Gallologie“ nennt Bessora diese Form der literarischen Recherche ironisch: die Wissenschaft vom Wesen der Gallier… Gepfeffert auch ihr zweiter Roman, „Les taches d’encre“, der bereits ein Jahr später erschien und irgendwo zwischen Kriminalroman und Neo-Realismus anzusiedeln ist: „22.20 Uhr. Bianca pinkelt, schafft es aber nicht zu kacken. 22.27 Uhr. Immer noch nichts, trotz eines Glyzerinzäpfchens. 22.28 Uhr. Bianca zieht die Spülung. ‚Ist nicht schlimm,‘ denkt sie, dann nehm‘ ich eben eine Fuca und kacke morgen früh.“ Die Vulgarität des Stils lässt indessen auch hier nicht die Sozialkritik vergessen. Bessora verfolgt den einmal eingeschlagenen Weg in ihrer burlesken Kritik am Rassismus und scheut nicht davor zurück, den legendären Kolonialismus-Theoretiker und -Kritiker Frantz Fanon zu einem ihrer geistigen Väter zu erklären – indem sie dessen Namen im Roman einem Goldfisch verleiht. Immer wieder unterbricht sie die Handlung, um in der Art der TV-Werbung den Leser aufzufordern, nicht das Buch zuzuschlagen. Im April 2002 erhielt Bessora für ihre „Tintenflecke“ den „Prix Fénéon“. Für den Roman „Cueillez-moi jolis Messieurs“ (2007) wurde sie mit dem Grand Prix littéraire de l’Afrique noire 2007 ausgezeichnet.
Dirk Naguschewski
© internationales literaturfestival berlin
53 cm
Le Serpent à Plumes
Paris, 1999
Les Taches d´encre
Le Serpent à Plumes
Paris, 2000
Deux bébés et l´addition
Le Serpent à Plumes
Paris, 2002
Courant d’air aux Galeries
Eden
Paris, 2003
Petroleum
Denoël
Paris, 2004
Cueillez-moi jolis Messieurs
Gallimard
Paris, 2007
Et si Dieu me demande, dites Lui que je dors
Gallimard
Paris 2008
Übersetzer: Dirk Naguschewski