23. ilb 06. – 16.09.2023

Bernard Noël

Bernard Noël wurde 1930 in Sainte-Geneviève-sur-Argence/ Aveyron, Frankreich, geboren. Zu Beginn der fünfziger Jahre besuchte er eine Journalistenschule in Paris. Doch sein wirkliches Interesse galt der Literatur. Die Engagierte Literatur von Jean-Paul Sartre und Albert Camus faszinierte ihn ebenso wie die Radikalität von Georges Bataille und Antonin Artaud. Als er 1953 seinen ersten Gedichtband veröffentlichte, arbeitete er als Lektor und Übersetzer. Fünf Jahre später erschien „Extraits du corps” (1958; Ü: Körperextrakte), eine Sammlung von Prosagedichten. In ihnen unternimmt er eine einzigartige, „reziproke Fusion“: Er versucht, den Wörtern einen Körper zu geben und dem Körper die Wörter. Das Anliegen seiner „écriture du corps“ ist die gegenseitige Durchdringung der materiellen und immateriellen Dimension. Nach dieser Veröffentlichung erklärte Bernard Noël in einem Brief an seinen Herausgeber seinen radikalen Bruch mit der Literatur und seinen Verzicht auf das Schreiben. Rund zehn Jahre später publizierte er unter Pseudonym „Le Château de cène” (1969; Ü: Das Schloss des Abendmahls). In diesem grenzüberschreitenden Roman, der als Allegorie auf die brutalen Ereignisse im Algerienkrieg intendiert war, schildert er drastisch sexuelle Exzesse und Gewalt, was zur Zensur des Buches und einem Prozess wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften führte. „Le Château de cène” markiert einen Wendepunkt in Bernard Noëls literarischem Schaffen. Er, der sich zuvor von der Literatur abgewandt hatte, wurde nun freier Schriftsteller. Seit den siebziger Jahren schuf er ein ebenso umfangreiches wie komplexes Œuvre, das heute mehr als sechzig Titel umfasst, darunter Gedichte, Romane, das „Dictionnaire de la Commune“ (1971; Ü: Wörterbuch der Kommune), Reisebeschreibungen, literaturkritische und politische Essays sowie eine Reihe von Texten über Kunst, Künstler und Fragestellungen zur Wahrnehmung. 1983 gründete er das Literarische Zentrum der Abtei von Royaumont, das sich die Übersetzung zeitgenössischer Dichter wie Nuno Judice, Oskar Pastior und Yadollah Royai zum Ziel gesetzt hat. 1992 wurde ihm der Prix National de Poésie verliehen. Bereits 1975 prägte er in Anlehnung an „la censure“ (Zensur des Wortes) den Neologismus „la sensure“ mit der Bedeutung ‚Verbot des Denkens’. In der Essaysammlung „La Castration mentale“ (1997; Ü: Die Kastration des Geistes) warnt er vor dem schleichenden Verlust der Freiheit des Denkens, die er insbesondere durch die visuelle Überflutung der Massenmedien bedroht sieht. Bernard Noël lebt im nordfranzösischen Maurigny.

© internationales literaturfestival berlin

Bibliographie

Extraits du corps
Unes
Draguignan, 1988

Le Château de Cène
Gallimard
Paris, 1990

La Castration mentale
P.O.L.
Paris, 1997

La Langue d’Anna
P.O.L.
Paris, 1998

Lettres verticales
Unes
Draguignan, 2000

La Peau et les mots
P.O.L.
Paris, 2002

Les pr emiers mots
Flammarion
Paris, 2003

Romans d’un regard
P.O.L.
Paris, 2003

Le roman des postures
Fata Morgana
Sant-Clément-de-Rivière, 2003

Un trajet en hiver
P.O.L
Paris, 2004

Les Yeux dans la couleur
P.O.L
Paris, 2004

Portrait de l’Aubrac
Presses du Languedoc
Montpellier, 2005

Le Sillon des sens
Fata Morgana
Sant-Clément-de-Rivière, 2005

La Vie en désordre
L’Amourier
Coaraze, 2005

Sonnets de la mort
Fissile
Paris, 2007

Übersetzer: Rainer G. Schmidt