Antonio Tabucchi wurde 1943 in Pisa geboren und wuchs im norditalienischen Vecchiano auf. Er studierte Literaturwissenschaft in Pisa und Paris und schloß mit einer Dissertation über den Surrealismus in Portugal ab. Als Professor für portugiesische Sprache und Literatur lehrte er zunächst in Genua, dann in Siena. 1970 heiratete er die Portugiesin Maria José de Lancastre. Mit ihr zusammen betreute er die italienische Werkausgabe Fernando Pessoas (1888-1935). Die Entdeckung dieses portugiesischen Schriftstellers im Alter von 19 Jahren regte Tabucchi der eigenen Aussage nach zum literarischen Schreiben an. Seit 1975 publiziert er Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Essays und Übersetzungen aus dem Portugiesischen.
1983 reiste Tabucchi im Auftrag der Fondazione Gulbenkian (Lissabon) und der Universität Genua nach Lateinamerika und Indien, um Archivstudien für das Projekt »Bibliotheken europäischer Gründung in außereuropäischen Ländern« zu betreiben. 1985 bis 1987 war er Leiter des italienischen Kulturinstitutes in Lissabon. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den Premio Campiello 1994, den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 1997 und den Premio Salento 2003.
Tabucchis erster Roman, »Piazza d’Italia«, erschien 1975; in ihm wird die Geschichte einer Anarchistenfamilie in der Toscana über drei Generationen verfolgt. »Die Politik gehört genauso zum Leben wie die Liebe, der Tod, die Gefühle.« Diese Einstellung des Autors schlägt sich in seiner gesamten Prosa nieder, die politische Aussagen gleichwohl niemals thetisch formuliert. Dies gilt auch für seinen bisher erfolgreichsten Roman, »Sostiene Pereira« (dt. »Erklärt Pereira«), der 1995 mit Marcello Mastroianni verfilmt wurde. Angesichts des Erscheinungstermins, Januar 1994, interpretierte die italienische Öffentlichkeit die fiktive Geschichte eines portugiesischen Kulturjournalisten, der sich 1938 vom Mitläufer zum Rebellen der faschistischen Salazar-Diktatur wandelt, als deutliche Stellungnahme zur bevorstehenden Wahl. Erinnerung und Spurensuche zählen zu den Grundmotiven von Tabucchis Werk. Auf der Suche nach Identität treten die Protagonisten in einen Dialog mit Traumgestalten, Doppelgängern, manchmal auch mit literarischen Figuren oder gar mit ihren Schöpfern. So etwa in »Requiem« von 1991: eine Hommage an Lissabon und eine Liebeserklärung an die portugiesische Sprache, der sich der Autor hier bedient, um seine »Halluzination«, die fiktive Begegnung mit dem großen Vorbild Pessoa und seinen Figuren, zu beschreiben.
Der investigative Aspekt verbindet sich in Tabucchis Prosa des öfteren mit Elementen des Kriminalromans. Dies gilt auch für seinen Roman, »La testa perduta di Damasceno Monteiro« (dt. »Der verschwundene Kopf des Demasceno Monteiro«) von 1997, der gewissermaßen das »Umkehrspiel« zum Erfolgsroman von 1994 darstellt. Entdeckte Pereira 1938 in der diktatorischen Ordnung eine Lücke, um seinen Protest zu lancieren, so erblickt der junge Journalist Firmino hinter Portugals demokratischer Ordnung die diktatorischen Machtstrukturen einer Geld-Mafia. Nach seiner „Autobiografie altrui“ (Ü: Autobiografie von anderen) erschien die Essaysammlung „L’Oca al passo“ (2006) mit politischen Betrachtungen zu (Anti-)Terrorismus, Neofaschismus, Rassismus, Revisionismus und den totalitären Tendenzen Italiens. Antonio Tabucchi verstarb am 25. März 2012 im Alter von 68 Jahren in Lissabon.
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