Anna Moi
- Vietnam
- Zu Gast beim ilb: 2006
Anna Moi wurde 1955 in Saigon geboren, damals die Hauptstadt der Republik im südlichen Teil des kriegsgeplagten Vietnam. »Ich hatte meine ganze Kindheit lang Angst vor dem Krieg«, erinnert sich die Tochter einer Reformpädagogin und eines Offiziers und Journalisten. Von früh an wurde sie in französischsprachigen Schulen ausgebildet. Nach dem Schulabschluss am Lycée Marie Curie wanderte sie nach Frankreich aus. An der Universität von Nanterre begann sie – mit dem Ziel, Journalistin zu werden – Geschichte zu studieren, wandte sich aber bald der Modebranche zu. Sie arbeitete in Paris und Bangkok als Modedesignerin und lebte einige Zeit in Tokio. 1992 kehrte sie in ihre Heimatstadt, nunmehr Ho-Chi-Minh-Stadt, zurück.
Hier begann sie, in ihrer »zweiten Muttersprache« Französisch zu schreiben, und veröffentlichte zunächst zwei schmale Bände mit Kurzgeschichten, die mit Humor und Besonnenheit Alltagsszenen skizzieren. In »L’écho des rizières« (2001; Ü: Das Echo der Reisfelder) stellt die Autorin übergangslos auf verschiedenen Zeitebenen Eindrücke von der westlichen und der östlichen Kultur nebeneinander. Sie schreibt sowohl über die vietnamesischen Hochebenen wie über ein Schwimmbad im Südosten Frankreichs, über ein gewöhnliches Wohnhaus im Zentrum von Ho-Chi-Minh-Stadt ebenso wie über das Inselparadies Phu Quoc. Nach dem zweiten Band, »Parfum de pagode« (2003; Ü: Parfüm der Pagode), wandte sich Moi der Romanform zu und wechselte Thema und Tonart. »Riz noir« (2004; Ü: Schwarzer Reis) thematisiert die leidvolle Vergangenheit Vietnams und beschreibt das Schicksal zweier jugendlicher Schwestern, die von südvietnamesischen Truppen verhaftet, gefoltert und interniert werden. Das Werk, das auf einer wahren Begebenheit beruht, möchte die Autorin auch als Hommage an die »zerbrechlichen und unbesiegbaren« vietnamesischen Frauen verstanden wissen. Ihr zweiter Roman, »Rapaces« (2004; Ü: Raubvögel), spielt in der Zeit der französischen Kolonisation und evoziert wichtige Stationen der Landesgeschichte wie die große Hungersnot des Winters 1944/45. Protagonist ist ein Bildhauer, der widerwillig und gegen seine unheroische Veranlagung in die beginnenden Kämpfe mit der französischen Kolonialmacht hineingezogen wird und das Gefühl seiner Mitschuld nicht abschütteln kann. Vor kurzem erschien Mois neuester Roman »Violon« (2006; Ü: Die Violine) über ein Mädchen, das an Dyslexie leidet und in einer von Frauen dominierten Familie aufwächst.
Die Autorin erhielt auf dem »Festival du premier roman« in Cuneo den Preis für den besten französischsprachigen Debütroman. 2006 wurde sie »für ihre Schöpfungen auf künstlerischem und literarischem Gebiet und für ihren Beitrag zur Verbreitung der Künste und Wissenschaften in Frankreich und in der Welt« in den Stand eines Chevalier des Arts et des Lettres erhoben. Moi lebt in ihrer Geburtsstadt, wo sie gelegentlich als Sängerin auftritt und eine Boutique unterhält, die ihre Modekreationen bis in die USA und nach Japan exportiert.
© internationales literaturfestival berlin
L’écho des rizières
Ed. de l’aube
La Tour d’Aigues, 2002
Parfum de pagode
Ed. de l’aube
La Tour d’Aigues, 2003
Riz noir
Gallimard
Paris, 2004
Rapaces
Gallimard
Paris, 2005
Espéranto, desespéranto
Gallimard
Paris, 2006
Violon
Flammarion
Paris, 2006