Alessandro Baricco , 1958 in Turin geboren, arbeitete nach dem Studium der Musikwissenschaft und Philosophie eine Zeit lang in der Werbebranche und schrieb Musikkritiken für überregionale italienische Zeitungen. 1994 feierte er mit dem populären Literaturmagazin „Pickwick“ große Fernseherfolge, zudem veröffentlicht er regelmäßig Reportagen in den Tageszeitungen „La Repubblica“ und „La Stampa“. In Turin, wo Baricco lebt, gründete er die Privatuniversität „Scuola Holden“ für kreatives Schreiben, in der zahlreiche bekannte Autoren und Filmemacher dozieren. Bariccos Bücher, von denen einige inzwischen verfilmt worden sind, wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem „Prix Médicis“, dem italienischen Literaturpreis „Premio Viareggio“ und dem „Premio Selezione Campiello”. Schon sein erster Roman „Castelli di Rabbia“ (dt. „Land aus Glas“), der 1991 erschienen ist, vereint viele der Themen und erzählerischen Muster, die Alessandro Baricco international zu einem erfolgreichen Schriftsteller gemacht haben. Die surreal anmutende Geschichte des Glasfabrikanten Rail, der immer wieder zu Reisen ins Unbekannte aufbricht und seiner geliebten Frau Jun jedes Mal ein- und dasselbe Geschenk mitbringt, ist in einem erfundenen 19. Jahrhundert angesiedelt und spielt mit den romantischen Ideen der allumfassenden Liebe. Im deutschsprachigen Raum wurde Alessandro Baricco vor allem durch sein drittes Buch, dem Weltbestseller „Seide“ aus dem Jahr 1996 bekannt, einer Melange aus Liebesparabel, fernöstlicher Mystik und ausgeklügelten Sprachetüden. Der Turiner Autor verbindet darin einen Topos der japanischen Literatur, das Unausgesprochene, mit der Vorstellung der ewigen Wiederkehr des Gleichen, jener „Wiederholung der Vergangenheit“, wie sie etwa Gustave Flaubert in seinem Roman „Salammbô“ erzählerisch gemeistert hat. Erneut ist es das 19. Jahrhundert, in dem Baricco seine Geschichte spielen lässt: Hervé Joncourt, der Held des Romans, handelt mit Seidenraupen und reist, um eine besonders seltene Art dieser Tierchen zu kaufen, Jahr für Jahr nach Japan, in das Land der Seidenstoffe und der „Poesie der Sehnsucht“. Dort erliegt er dem Charme einer unsagbar schönen Frau, die ihn „mit verwirrender Intensität“ anschaut und gleichwohl unerreichbar bleibt. Aus der Monotonie seines bisherigen Lebens gerissen, verfängt sich Joncourt im Labyrinth von Phantasie und Verlangen. Erst nach dem Tod seiner Gattin erkennt er, daß er nur sie in der fremden Schönen geliebt hat. Jene mäandrischen Umwege und Wiederholungen, die Jancour durchleben muss und die dem Text einen eigenen Rhythmus verleihen, lassen sich auch in Bariccos Buch „City“ aus dem Jahr 2000 finden. Dort zaubern zwei Außenseiter, der hochbegabte Junge Gould und die zwanzigjährige Shatzy, ihre eigenen Phantasiewelten und unterlaufen so die Lächerlichkeiten und Zumutungen der „wirklichen“ Welt. In einer Vielzahl von Episoden verschränkt er die Zeiten und Landschaften, versieht seine Erzählstränge mit Motiven aus Comic und Werbung, mit Filmbildern und amerikanischen Mythen. Eine Hommage an die Tagträume hat Baricco geschrieben, ein Buch über die Phantasie und die Kraft der Freundschaft.
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