Abdellatif Laâbi wurde 1942 im marokkanischen Fès geboren. Mit dem Arabischen aufgewachsen, lernte er in der Schule die Sprache der französischen Kolonialherren, die 1956 das Land in die Unabhängigkeit entließen. Laâbi studierte Romanistik in Rabat, wo er später als Französischlehrer arbeitete, und beteiligte sich politisch wie literarisch intensiv an der Gestaltung der wiedergewonnenen nationalen Freiheit.
Bereits als Student war er Mitbegründer eines universitären Theaters. Später gehörte er verschiedenen linken Parteien an. Bekannt ist Laâbi vor allem durch die Mitbegründung der kulturpolitischen Zeitschrift »Souffles« im Jahr 1966. In dezidierter Abkehr von jedem ideologischen Dogmatismus und den etablierten Formen der Literatur öffnete sie sich für neue Einflüsse und verlieh jungen Autoren wie Abdelkebir Khatibi, Tahar Ben Jelloun und Rachid Boudjedra erstmals eine Stimme. Als Forum einer kulturellen Erneuerung im arabischen Raum fand »Souffles« über die Landesgrenzen hinaus Gehör und beeinflusste eine ganze Generation von Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen. Nach 22 erst französisch-, dann zweisprachigen Ausgaben veröffentlichte die Zeitung unter dem arabischen Namen »Anfas« schließlich nur noch Texte auf Arabisch. 1972 wurde sie verboten, Laâbi aufgrund seiner politischen Haltung verhaftet, gefoltert und zu einem zehnjährigen Freiheitsentzug verurteilt. Aus dem Gefängnis von Kénitra geschmuggelte Gedichte erschienen noch während seiner Haft unter den Titeln »L’arbre de fer fleurit« (1974; Ü: Der Eisenbaum blüht) und »Le Règne de barbarie« (1976; Ü: Das Reich der Barbarei). 1978 erschien eine Auswahl seiner Briefe aus dem Gefängnis, »Chroniques de la citadelle d’exil« (Ü: Chronik aus der Zitadelle des Exils; erweiterte Fassung 1983). Nach acht Jahren wurde Laâbi aufgrund internationaler Proteste freigelassen. Die erste Zeit in Freiheit schildert seine Erzählung »Le Chemin des ordalies« (1982; dt. »Kerkermeere«, 1990). Seit 1985 lebt er als freier Schriftsteller und Übersetzer in Frankreich. Er verfasste zahlreiche Lyrikbände und mehrere Romane, Theaterstücke und Bücher für junge Leser. Ins Deutsche übersetzt wurden die Gedichtsammlungen »Die Sonne stirbt« (2000; OT: »Le Soleil se meurt«, 1992) und »Die Umarmung der Welt« (2002; OT: »L’Etreinte du monde«, 1993, und »Le Spleen de Casablanca«, 1996), unprätentiöse, bildreiche, reimlose Lyrik, die mit Sanftheit und Ironie den Traum der menschlichen Würde gegen die Kräfte der Barbarei entschieden verteidigt.
Laâbi wurde 1985 zum Commandeur des Ordre des Arts et des Lettres ernannt. Er ist Mitglied der Académie Mallarmé und hat einen Sitz im Vorstand der Maison des écrivains. Unter seinen Auszeichnungen sind der Prix de la liberté des französischen PEN, der Fonlon Nichols Prize der African Literature Association, der Prix de poésie Wallonie-Bruxelles, der Prix Albert Droin der Société des gens de lettres de France und der Prix de l’Afrique méditerranéenne de l’ADELF. Laâbi lebt in Créteil bei Paris.
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