Yan Lianke
Yan Lianke wurde 1958 in Luoyang, Henan, China, als Sohn von Bauern geboren. Während seiner Zeit bei der Volksbefreiungsarmee war er als Propagandaschreiber tätig. In seinem Heimatland ist er einerseits erfolgreich und hochdekoriert, wird andererseits aber auch kontrovers diskutiert; von der offiziellen Delegation bei der Frankfurter Buchmesse 2009 war er ausgeschlossen; aufgrund der oftmals grotesk-satirischen Färbung und subversiven Untertöne wurden einige seiner Romane indiziert. Aber wie er 2014 in einem Essay pragmatisch resümiert, sei es für einen ernst zu nehmenden Autor ungewöhnlich, überhaupt keine Zensurprobleme zu haben.
Liankes ambitionierte Prosa, die in viele Sprachen übersetzt und international begeistert aufgenommen wird, greift vornehmlich verdrängte Begebenheiten auf und verleiht ihnen existenzialistische, teils allegorische Dimensionen. »Dīng zhuāng mèng« (2006; dt. »Der Traum meines Großvaters«, 2009) handelt von der Auslöschung eines Dorfes im provinziellen Hinterland Anfang der neunziger Jahre, als die Bevölkerung bei kollektiven Blutspendeaktionen mit HIV infiziert wurde. In »Shouhuo« (2004; dt. »Lenins Küsse«, 2015) werden die Einwohner eines abgelegenen Gebirgsorts nach einem Ernteausfall infolge einer Wetteranomalie von einem habgierigen Kreisvorsteher dazu genötigt, ihre mannigfaltigen Behinderungen in einem Wanderzirkus zur Schau zu stellen. Durchzogen von Dialekteinsprengseln, die in Anmerkungen erklärt werden, schraubt sich der nichtlinear erzählte Ausverkauf von Idealen in absurde Höhen, bleibt in seinen Grundzügen jedoch zutiefst human. Abermals in Liankes Heimatregion angesiedelt, schildert »Sishu« (2011; dt. »Die vier Bücher«, 2017) mit rigorosem Stilwillen – tetralogisch strukturiert, metafiktional, mit biblischen wie burlesken Anklängen – die Misshandlungen in einem Umerziehungslager während der großen Hungersnot. »Zhaliezhi« (2013; Eng. »The Explosion Chronicles«, 2016) ist »sowohl eine Parodie auf die kommunistische Herrschaft in China als auch eine vernichtende Kritik kapitalistischer Exzesse […], nicht weniger als ein Meisterwerk« (»Observer«). »Nian yue ri« (1997; Eng. »The Years Months Days«, 2017) ist eine kraftvolle, bewegende Fabel über Lebenswillen, Opfer und die Schönheit des Lebens von »Chinas meistgefeiertem Autor« (»Financial Times«). »Rixi« (2015) setzt dem Optimismus von Xi Jinpings »Chinesischem Traum« einen luziden Albtraum entgegen, der Liankes Geschick im idiosynkratischen Verschmelzen von parabelhaften und zeitdiagnostischen Elementen beweist.
Zu Liankes Ehrungen zählen der Lu-Xun-Literaturpreis (1998/2001), der Lao-She-Literaturpreis (2005), der Franz-Kafka-Literaturpreis (2014) sowie der Dream of the Red Chamber Award (2016). Außerdem war er teils mehrfach für den Man Booker International, den Man Asia, den Independent Foreign Fiction Prize und den Premio Príncipe de Asturias nominiert. Lianke lebt in Peking.
Dem Volke dienen
Ullstein, Berlin, 2007
[Ü: Ulrich Kautz]
Der Traum meines Großvaters
Ullstein, Berlin, 2009
[Ü: Ulrich Kautz]
Lenins Küsse
Eichborn, Köln, 2015
[Ü: Ulrich Kautz]
Die vier Bücher
Eichborn, Köln, 2017
[Ü: Marc Hermann]