Wytske Versteeg
Wytske Versteeg wurde 1983 in den Niederlanden geboren und schloss 2005 ein Studium der Politikwissenschaft mit Auszeichnung ab. Ihre Erfahrungen mit dem Thema Obdachlosigkeit als ehrenamtliche Helferin in einer Notunterkunft mündeten 2008 in dem Essay »Dit is geen Dakloze« (Ü: Dies ist keine obdachlose Person), in dem Versteeg Erkenntnisse der Literatur und der Philosophie sowie der Sozialwissenschaften mit eigenen Beobachtungen verknüpft, um laut der Jury, die ihr Werk für den Jan-Hanlo-Essay-Preis nominierte, der Frage auf den Grund zu gehen, wie Zugehörigkeit und eben auch Nichtzugehörigkeit Leben beeinflussen können.
Ein erster Roman, »De Wezenlozen« (Ü: Die Unwirklichen), stand nicht nur auf der Longlist des AKO-Literaturpreises, sondern brachte der Autorin auch den Vrouw Debuut Prijs ein. Die Schilderung einer auseinanderbrechenden Familie im Spannungsfeld von Ruhm und Niedergang sowie von griechischer Tragödie und Reality-TV wurde von der Kritik für die Einfühlung in verschiedene Figuren und für einen Schreibstil gefeiert, der dem Leser durch seinen beschaulichen, fast nachlässigen Ton Raum zum Atmen gebe. Bereits 2005 hatte die Jury des Kwakoe Literatuurprijs entsprechend über eine Erzählung der Autorin geurteilt, es reiche, nur drei Sätze zu lesen, um zu wissen, dass man es mit einer echten Schriftstellerin zu tun habe – nach der Lektüre eines Absatzes sei man dann bereits verhext. 2014 gewann Versteegs zweiter Roman »Boy« (2014; dt. 2016) den BNG Bank Literatuurprijs. Berührend, ergreifend und ohne Voyeurismus dringt die Autorin erneut tief in die Seele ihrer Figuren ein, um die Geschichte der hoffnungsbeladenen Aufnahme eines afrikanischen Kindes in eine westliche Familie zu erzählen, das, sozialer Isolation und Mobbing ausgesetzt, seinen Adoptiveltern trotz aller gut gemeinten Bemühungen nach und nach entgleitet, bis der Mutter nur noch die Suche nach Ursachen für den Tod des von ihr angenommenen Jungen bleibt. Das Interesse, sich literarisch mit menschlichem Versagen auseinanderzusetzen, teilt Versteeg mit anderen zeitgenössischen niederländischen Autorinnen und Autoren wie Esther Gerritsen und Thomas Heerma van Voss. In ihrem jüngsten Roman »Quarantaine« (2015; Ü: Quarantäne), der von der Kritik wieder begeistert aufgenommen wurde, sieht einer der wenigen Überlebenden einer tödlichen Seuche, der seine Erfahrungen und Erinnerungen in einem inneren Monolog wiedergibt, die Chance auf einen Neuanfang und lernt dabei spät, vielleicht zu spät, was es bedeutet, Mensch zu sein. Das »NRC Handelsblad« würdigte in einer Rezension erneut Versteegs Subtilität und Eloquenz und erklärte sie zu einer der besten Autorinnen ihrer Generation.
Neben Romanen hat Versteeg auch Essays, Kurzgeschichten und Theaterstücke verfasst. Texte von ihr erschienen in Zeitschriften wie »Vrij Nederland«, »Nouveau« und »Hollands Maandblad en Tirade«. Sie lebt in Delft.
Het gevoel van groeiend gefluister
[Text für den Kwakoe-Literaturpreis-Wettbewerb]
Den Haag, 2005
Dit is geen Dakloze
Lemniscaat
Rotterdam, 2008
De Wezenlozen
Prometheus
Amsterdam, 2012
Quarantaine
Prometheus
Amsterdam, 2015
Boy
Klaus Wagenbach
Berlin, 2016
[Ü: Christiane Burkhardt]