Viktor Jerofejew
- Russland
- Zu Gast beim ilb: 2006, 2010, 2013, 2014, 2017, 2021, 2022
Viktor Jerofejew wurde 1947 in Moskau geboren. Sein Vater war als Dolmetscher u. a. für den sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow und als Botschafter in Frankreich tätig. An der Lomonossow-Universität in Moskau studierte Jerofejew Philologie sowie Linguistik und promovierte 1975 über Dostojewski und den französischen Existentialismus.
1979 wirkte er an der Zusammenstellung des Literaturalmanachs »Metropol« mit, bei dessen Premiere es zu einem politischen Skandal kam, was den Ausschluss Jerofejews aus dem Schriftstellerverband der UdSSR zur Folge hatte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab er den Almanach, den er als »Röntgenapparat, der die ganze Gesellschaft durchleuchtete«, bezeichnete, in einer Reihe von Anthologien neu heraus.
Mit doppelbödigem Humor schildert sein Romandebüt »Russkaja krasavica« [1989; dt. »Die Moskauer Schönheit«, 1990] den durch Naivität und Berechnung beförderten Aufstieg einer russischen Femme fatale aus der Provinz bis in die privilegierten Zirkel Moskaus. Die teils groteske Gesellschaftsanalyse avancierte international zum Bestseller. In »Choroschi Stalin« [2004; dt. »Der gute Stalin«, 2004/2021] reflektiert Jerofejew die Machtstrukturen unter Stalin, insbesondere in der Entourage aus Beratern, Übersetzern und Diplomaten, zu der auch sein Vater gehörte. Die romanesk ausgestaltete Autobiografie illustriert, wie sich künstlerische und politische Freiheit gegenseitig bedingen. Das gegenwärtige Russland, als dessen provokanter Kritiker er oftmals in Erscheinung tritt, seziert er in der Essaysammlung »Russkij apokalipsis« [2005; dt. »Russische Apokalypse«, 2009], die 55 seiner Texte über einen Zeitraum von 15 Jahren zu einer oft beißend kommentierten Chronik zusammenfasst. In der satirischen und surrealen Polit-Parabel »Akimudy« [2012; dt. »Die Akimuden. Ein nichtmenschlicher Roman«, 2013] lässt Jerofejew Tote wiederauferstehen und die gespannten Beziehungen Russlands zu dem titelgebenden, fiktiven Staat eskalieren – bis hin zu einer Kreuzigung auf dem Roten Platz. 2014 wurde seine Erzählung »de profundis« [Ü: Aus den Tiefen] über die Schönheit und Abgründe der russischen Seele in das E-Book-Bundle »Russland erzählt« aufgenommen. Nach dem Märchen für Erwachsene »Rosowaja mysch« [2017; Ü: Die rosa Maus] erschien 2018 seine Essaysammlung »Schtschel« [Ü: Der Spalt] mit dokumentarischen und literarischen Texten über das Wesen des Menschen und seine Kreativität, über Freiheit und Einsamkeit. Mit »Enzyklopädie der russischen Seele« [dt. 2021], einer Mischung aus Roman, Krimi und Enzyklopädie, legte Jerofejew eine philosophisch-ironische Bestandsaufnahme vor.
2022 lebt Jerofejew als Stipendiat in Deutschland und schreibt an seinem neuen Roman, der unter dem Titel »Der große Gopnik« voraussichtlich 2023 auf Deutsch erscheint. »Es ist ein Buch über das parallele Leben von Putin und mir. […] Am Anfang habe ich mit viel Ironie geschrieben, doch dann änderte sich einiges in Russland. […] Jetzt hat mir Putin mit dem Krieg gegen die Ukraine ein Finale geschenkt. Es ist zwar schrecklich, aber es ist ein ernsthaftes Ende für mein Buch.«
Stand: 2022
Die Moskauer Schönheit
S. Fischer
Frankfurt a. M., 1990
[Ü: Beate Rausch]
Der gute Stalin
Berlin Verlag
Berlin, 2004
Matthes & Seitz Berlin
Berlin, 2021
[Ü: Beate Rausch]
Russische Apokalypse
Berlin Verlag
Berlin, 2009
[Ü: Beate Rausch]
Die Akimuden
Ein nichtmenschlicher Roman
Hanser Berlin
Berlin, 2013
[Ü: Beate Rausch]
de profundis
In: Russland erzählt
E-Book-Bundle
eBook Berlin
Berlin, 2014
Rosowaja mysch
Ripol Klassik
Moskau, 2017
Schtschel
Ripol Klassik
Moskau, 2018
Enzyklopädie der russischen Seele
Matthes & Seitz Berlin
Berlin, 2021
[Ü: Beate Rausch]