Paul Nizon
- Schweiz
- Zu Gast beim ilb: 2002
Der Schweizer Paul Nizon bewegt sich abseits der Pfade der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. Zwar befand er sich im Umfeld der Gruppe 47, doch mittlerweile ist er keiner Strömung mehr zuzurechnen; er selbst hat sich einmal als „Autobiographie-Fiktionär“ bezeichnet: Nizon wurde 1929 als Sohn eines russischen Emigranten und einer Bernerin in der Heimatstadt seiner Mutter geboren. Er studierte Kunstgeschichte und promovierte 1957 mit einer Arbeit über Vincent van Gogh. 1961 wurde er zum leitenden Kunstkritiker der „Neuen Zürcher Zeitung“ ernannt; seine Flucht weg von diesem prestigereichen Posten hin zu einem unsicheren Leben für die Literatur findet sich literarisch gespiegelt in „Untertauchen. Protokoll einer Reise“ (1972) wieder. Von da an ist das Leben Nizons ein steter Aufbruch, sein Schreiben dessen unermüdliche Reflexion. Die Arbeit als freier Kunstkritiker sicherte den materiellen Unterhalt. Schon in seinem literarischen Debüt „Die gleitenden Plätze“ (1959), das von der Kritik hoch gelobt wurde, zeichnet sich sein Bestreben nach sprachlicher Reflexion, nach Klarstellung in der Sprache ab. Nach Aufenthalten unter anderem in Rom und London lebt er seit 1977 im selbstgewählten Exil: Paris. Seine Bücher werden in der Regel kurz nach Erscheinen der deutschen Ausgabe ins Französische übersetzt und oft erzielen sie jenseits des Rheins höhere Auflagenzahlen als diesseits. Nizon hat sich dabei immer weiter von seinen calvinistischen Schweizer Wurzeln entfernt. Bereits in „Canto“ (1963) stellte er der in seiner Geburtsstadt Bern vorherrschenden verkümmerten bürgerlichen Lebensform das enthusiastisch besungene Rom entgegen. Mit „Im Hause enden die Geschichten“ (1971) vollzog er erneut in gestisch-statischer Sprache die Absage an die Bürgerlichkeit. Und auch in seinem „Diskurs in der Enge“ (1970) polemisiert er gegen die Provinzialität der Schweizer Kunst. Nizons lange Zeit erfolgreichste Erzählung „Stolz“ (1975) handelt von einem geistigen und seelischen Zersetzungsprozess und die mit künstlerischem Engagement verbundene Gefahr des Selbstverlustes – sein Lebensthema. In seinem Paris-Buch „Das Jahr der Liebe“ (1981) verbindet Nizon die Schwierigkeiten der Liebe mit denen einer Künstlerexistenz und feiert darin zugleich die alle Herrlichkeiten des Lebens offenbarenden Frauen, die käufliche Liebe und die Stadt seiner Zuflucht. Nizon war nie ein Vielschreiber. Dafür ist jedes Wort bewusst gesetzt, sind die Zeilen an den passenden Stellen gebrochen: Voraussetzungen einer unverwechselbaren, rhythmisch-individualisierten Literatursprache. 1984 war er Gastdozent am renommierten Lehrstuhl für Poetik der “Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main“. Die aus seinen Vorlesungen hervorgegangenen poetologischen Überlegungen finden sich in dem Bändchen „Am Schreiben gehen. Frankfurter Vorlesungen“ (1985) wieder. Zu seinem 70. Geburtstag hat ihm der Suhrkamp-Verlag, der seinem Autor seit 1963 die Treue hält, eine siebenbändige Werkausgabe gewidmet.
Dirk Naguschewski
© internationales literaturfestival berlin
Die gleitenden Plätze
Scherz
Bern, 1959
Canto
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1963
Diskurs in der Enge
Kandelabern
Bern, 1970
Im Haus enden die Geschichten
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1971
Stolz
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1975
Das Jahr der Liebe
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1981
Aber wo ist das Leben
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1983
Am Schreiben gehen
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1985
Im Bauch des Wals
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1989
Das Auge des Kuriers
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1994
Taubenfraß
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1999
Untertauchen
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1999
Die Erstausgaben der Gefühle
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2002
Abschied von Europa
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2003
Das Drehbuch der Liebe
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2004
Das Fell der Forelle
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2005