Nadeem Aslam
- Großbritannien, Pakistan
- Zu Gast beim ilb: 2014, 2017
Nadeem Aslam wurde 1966 in der pakistanischen Metropole Gujranwala geboren. Während des Regimes von Generals Zia-ul-Haq musste die Familie, als er 14 Jahre alt war, aufgrund der politischen Überzeugungen des Vaters, eines Publizisten und Filmemachers, emigrieren und siedelte ins englische Huddersfield in West Yorkshire über. An der University of Manchester studierte er mehrere Semester Biochemie sowie Literaturwissenschaft, gab das Studium allerdings zugunsten seiner Schriftstellerkarriere auf.
Bereits in seinem Debüt »Season of the Rainbirds« (1993; Ü: Der Zeit der Regenvögel) beweist Aslam mit der Auffächerung der gesellschaftlichen Schichten in Pakistan erzählerische Raffinesse: Ein Zugunglück in der Provinz fördert einen beinahe zwei Jahrzehnte verschollenen Postsack zutage. Die verloren geglaubten Briefe offenbaren jene Klüfte, die sich zwischen den Zeitebenen sowie den individuellen Haltungen der Dorfbewohner auftun. Damit gelingt Aslam nicht nur ein vielschichtiges Porträt des politisch wie religiös zerrissenen Landes; viel essenzieller noch, er illustriert dadurch den Abgleich der Realitäten mittels der Schrift. Für seinen zweiten Roman »Maps for Lost Lovers« (2004; dt. »Atlas für verschollene Liebende«, 2005) wählt er abermals einen isolierten Schauplatz, um die Abgründe religiös motivierter Gewalt zu reflektieren. Anhand eines Ehrenmordes in einer kleinen englischen Stadt werden facettenreich divergierende Auffassungen von Liebe, Glaube und Justiz verhandelt. Mag die Handlung auch spezifische Verhältnisse aufgreifen, weist die an Metaphern und Allegorien reiche Sprache doch über alle Grenzen hinaus. »The Wasted Vigil« (2008; dt. »Das Haus der fünf Sinne«, 2010) verdichtet die Geschichte Afghanistans vom Einmarsch der Sowjetunion bis zur Terroristensuche in Tora-Bora im Aufeinandertreffen der Romanfiguren: Liebenden und Kämpfern mit ihrem jeweils eigenen Überzeugungen und ihrem jeweiligen Verlust. Aslams jüngstes Werk »The Blind Man’s Garden« (2013; dt. »Der Garten des Blinden«, 2014) greift die punjabische Tragödie »Heer Ranjha« auf und lässt sie neu interpretiert vor dem Hintergrund des Kriegs gegen den Terror in die Handlung einfließen. Zeitlos und aktuell zugleich mäandert der Erzählstrom zwischen den Charakteren in der Grenzregion von Pakistan und Afghanistan.
In Rezensionen als ausgereiftestes Werk Aslams gefeiert, wurde der Roman für die Shortlist des DSC Prize for South Asian Literature 2014 nominiert. Auch für seine anderen Romane wurde Aslam mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Betty Trask Award (1994), dem Author’s Club First Novel Award (1993), dem Encore Award (2005), dem Kiriyama Pacific Rim Book Prize (2005) und dem Windham Campbell Literature Prize der Yale University (2014). 2006 war er außerdem auf der Shortlist der British Book Awards sowie des renommierten International IMPAC Dublin Literary Award vertreten. Aslam lebt in London.
André Deutsch
London, 1993
Atlas für verschollene Liebende
Rowohlt
Reinbek, 2005
[Ü: Rosetta Stein]
Das Haus der fünf Sinne
Rowohlt
Reinbek, 2010
[Ü: Bernhard Robben]
Der Garten des Blinden
DVA
München, 2014
[Ü: Bernhard Robben]