Murathan Mungan
- Türkei
- Zu Gast beim ilb: 2018
Der Schriftsteller, Lyriker und Theaterautor türkisch-arabischer Herkunft Murathan Mungan wurde 1955 in Istanbul geboren und wuchs in Mardin in der Nähe der syrischen Grenze auf. Seine Kindheit war geprägt von sprachlich-kulturellen Widersprüchen; viele seiner kurdischen und arabischen Verwandten waren des Türkischen nicht mächtig, und sein Vater hielt ihn an, kein Kurdisch zu sprechen, um sich vor Anfeindungen zu schützen. Mungan studierte an der Universität Ankara Theaterwissenschaft und war danach Dramaturg an den Staatstheatern in Ankara und Istanbul. Seit 1975 veröffentlichte er seine Texte zunächst in Zeitungen und Zeitschriften, 1980 schrieb er sein erstes Theaterstück »Mahmud ile Yezida« (Ü: Mahmud und Yezida), das zusammen mit »Taziye« (1982; Ü: Kondolenz) und »Geyikler Lanetler« (1992; Ü: Von Hirschen und Flüchen) Mungans Mesopotamien-Trilogie bildet – ein Meilenstein des modernen türkischen Theaters. »Geyikler Lanetler« war in der Inszenierung von Mustafa Avkiran mit dem Türkischen Staatstheater Ankara 1999 auf dem Festival »Theater der Welt« in Berlin zu sehen.
Murathan Mungan ist Autor von über dreißig Romanen, Gedicht- und Prosabänden. In deutscher Übersetzung erschien zuerst »Palast des Ostens« (2006), ein Band mit fünf Erzählungen über Liebesbeziehungen zwischen gegensätzlichen Charakteren in einem Spannungsfeld von Identitätssuche, Sexualität und gesellschaftlichen Widerständen, in den der Autor einen reichen Schatz von Märchen und Legenden der Türken, Araber, Kurden und Perser einfließen lässt und den Bogen zu den Themen der Gegenwart spannt. In der Plastizität der Personenzeichnung und der dichten, bildhaften Sprache zeigt sich Mungans Prägung als Theaterautor. In seiner Novelle »Çador« (2004; dt. »Tschador«, 2008) erzählt Mungan von einem jungen Mann, der nach Jahren des Exils in seine Heimat zurückkehrt. Auf seiner Suche nach Mutter, Schwester, Bruder und Geliebter erkennt er sein von Krieg und Gewalt verunstaltetes und in Agonie verharrendes Land kaum wieder. Das Verhüllungsgebot für Frauen findet eine sinnfällige Entsprechung in dem von den neuen Machthabern verhängten Bilderverbot als Verneinung der physischen Existenz: »Die Hälfte des Lebens war weg … In seiner Tag für Tag blasser werdenden Fantasie blieben die Gesichter, nach denen er sich sehnte, wie leere Höhlen zurück.« In seinem Roman »Kadindan kentler« (2008; dt. »Städte aus Frauen«, 2010) erforscht Mungan in Alltagsgeschichten die Lebens- und Seelenwelt türkischer Frauen zwischen Tradition und Moderne. Er widmet sich in seinen Werken auch aktuellen und unliebsamen Themen der türkischen Gesellschaft wie dem Kurdenkonflikt oder dem Völkermord an den Armeniern.
Für sein Schaffen erhielt Mungan u. a. den Erdal-Öz-Literaturpreis 2012. Er lebt in Istanbul und ist 2018 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.
Palast des Ostens
Unionsverlag
Zürich, 2006
[Ü: Birgit Linde u. Alex Bischof]
Tschador
Blumenbar
München, 2008
[Ü: Gerhard Meier]
Städte aus Frauen
Blumenbar
München, 2010
[Ü: Gerhard Meier]