Margriet de Moor
Margriet de Moor wurde 1941 im niederländischen Noordwijk geboren. Sie wuchs mit neun Geschwistern auf, davon sechs Mädchen. Das Schwesternthema findet sich später häufig in ihrem Werk. Zunächst studierte de Moor Klavier und Gesang am königlichen Konservatorium in Den Haag, wo sie sich besonders für die Musik von avantgardistischen Komponisten wie Schönberg, Satie und Debussy interessierte. Ab 1968 stand sie als Solosängerin selbst regelmäßig auf der Bühne. Ein Jahrzehnt später begann sie wiederum zu studieren, diesmal Kunstgeschichte und Archäologie an der Amsterdamer Universität. Nach ihrer Eheschließung mit dem Bildhauer Heppe de Moor gründete sie 1984 in ’s-Graveland bei Amsterdam einen Künstlersalon und schuf selbst Filme und Videoporträts der beteiligten Künstler. Ein Jahr später begann sie Prosa zu schreiben, die sich von Anfang an durch komplexen Aufbau und atmosphärische Dichte auszeichnete.
1988 erschien de Moors erster Band mit Kurzgeschichten »Op de rug gezien« (dt. »Rückenansicht«, 1993), das als bestverkauftes Debüt mit dem Gouden Ezelsoor ausgezeichnet wurde. International bekannt wurde sie mit ihrem ersten Roman »Eerst grijs dan wit dan blauw« (1991; dt. »Erst grau dann weiß dann blau«, 1993), der in elf Sprachen übersetzt wurde. Aus Sicht dreier Personen wird die Ermordung einer schon seit Jahren verschwundenen Frau rekonstruiert. Waren schon ihre musikalischen Vorlieben spezifisch modern, so orientiert sich de Moor auch literarisch an stilistischen Avantgardisten wie Beckett, Borges und Ionesco: »Mein kreatives Denken ist aus musikalischen Formen aufgebaut, ich werde aber nie versuchen, eine bestimmte musikalische Form direkt in Literatur zu übersetzen.« In ihrem Werk beschäftigt sie sich häufig – vor dem Hintergrund historischer Ereignisse und Epochen – mit den schicksalhaften Mächten, die sich dem menschlichen Streben nach Kontrolle über das Leben entgegenstellen. Der Roman »De schilder en het meisje« (2010; dt. »Der Maler und das Mädchen«, 2011) spielt im Amsterdam des 17. Jahrhunderts und behandelt die letzten Wochen einer zum Tode verurteilten Frau sowie die Gedanken eines Malers (bei dem es sich vermutlich um Rembrandt handelt), der den zur Abschreckung ausgestellten Leichnam der Hingerichteten zeichnet. Ihr zuletzt erschienener Roman »Mélodie d’amour« (2014) verknüpft vier ganz unterschiedliche Liebesgeschichten miteinander und beschäftigt sich vordergründig mit emotionalen Ausnahmesituationen. Dabei spielen Wetterverhältnisse eine ganz besondere Rolle, denn sie »geben Auskunft über die Wetterlage der seelischen Verhältnisse. Mit diesem Kunstgriff gelingt es Margriet de Moor, die Psyche der Liebenden darzustellen, ohne sie mit den gängigen Erklärungstechniken der Psychologie zu erklären oder zu analysieren« (Ursula März, Deutschlandfunk).
De Moor wurde mit mehreren Preisen gewürdigt, darunter dem Lucy B. en C.W. van der Hoogtprijs und dem Ako Literaturpreis. Die Autorin lebt in Amsterdam.
Rückenansicht
dtv
München, 1995
[Ü: Rotraud Keller]
Erst grau dann weiß dann blau
Hanser
München/Wien, 1995
[Ü: Heike Baryga]
Der Virtuose
Wagenbach
Berlin, 2005
[Ü: Helga van Beuningen]
Der Maler und das Mädchen
Hanser
München, 2011
[Ü: Helga van Beuningen]
Mélodie d’amour
Hanser
München, 2014
[Ü: Helga van Beuningen]