Leïla Marouane
- Algerien
- Zu Gast beim ilb: 2003
Geboren wurde Leïla Marouane 1960 in Algerien, wo sie bis 1990 als Journalistin arbeitete. Heute lebt sie in Paris und besitzt die französische Staatangehörigkeit – und teilt damit das Schicksal vieler Intellektueller und Künstler jenes nordafrikanischen Landes, das früh den Aufbruch in die Moderne wagte und doch seit vielen Jahren mit stetig wiederkehrenden Wellen eines gewalttätigen Islamismus zu kämpfen hat.
Vier Romane und ein Erzählband sind in dem Land ihres Exils erschienen, in allen versucht Marouane, die Unterdrückung der Frau in ihrer Heimat zu schildern und den schleichenden Verfall der einst blühenden Städte Algeriens, in denen das Aufeinanderprallen von westlicher Moderne und islamischem Fundalismus besonders stark zu spüren ist. „La fille de la casbah“ (1996, dt. „Das Mädchen aus der Kasbah“, 1998) erzählt vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse im Algerien der späten Achtziger Jahre die Geschichte einer 30-jährigen Lehrerin, die sich gegen die Pläne ihrer Eltern zur Wehr zu setzen versucht, aber ihren eigenen Lebensentwurf auch nicht verwirklichen kann. Weder der Islam noch der westliche Konsumterror bieten ihrem Inneren ausreichenden Halt, so dass sie schließlich in einem blutigen Albtraum endet. In ihrem zweiten Roman, „Le Ravisseur“ (1999, dt. „Entführer“, 2003) nimmt Marouane – die von sich selbst sagt, daß sie weder mit der islamischen, noch der jüdischen, noch der christlichen Religion identifizieren können, da sie alle der Frau nur eine untergeordnete Rolle zuweisen – ein islamische Praxis aufs Korn, die dem Mann erlaubt, seine Frau einfach zu verstoßen. Mit sprachlichem Feingefühl lässt sie sich hier eine Tragödie entwickeln, die die Konsequenzen einer veralteten, sexistischen Rechtslage offenlegt. Marouane war in Algerien selbst Angriffen gegen ihre Person ausgesetzt, da sie als gesellschaftskritische Kolumnistin arbeitete und mit der algerischen Frauenrechtsbewegung sympathisierte. Gegen die eigene Verdrängung dieser Gewalt und um den Mord an einer Freundin aufzuarbeiten, verfasste sie ihren dritten Roman, „Le châtiment des hypocrites“ (2001, Bestrafung der Scheinheiligen). Hierin erzählt sie die Geschichte einer Verstörung. Fatima Kosra wird von Islamisten verschleppt, missbraucht und geschwängert. Dieses Trauma kann sie nicht verarbeiten, aber es wird vorübergehend neutralisiert, denn sie trifft ihre große Liebe aus Kindertagen wieder. Der in Paris lebende Mann nimmt sie mit nach Frankreich, wo ihre Geschichte sie aber schließlich doch einholt und sie zur Henkerin werden läßt. In „La jeune fille et la mère“ (2005; Ü: Das Mädchen und die Mutter) wird die gesellschaftliche Situation der Frau in Algerien in der schonungslosen Darstellung des Kampfes einer Tochter gegen eine desillusionierte Mutter reflektiert. Leïla Marouanes Romane, solange sie die Situation Algeriens beschreiben, können kein Happy End finden.
Die Autorin wurde 2004 auf der Frankfurter Buchmesse mit dem LiBeraturpreis asugezeichnet. Für „La jeune fille et la mère“ erhielt sie 2006 den Prix Jean-Claude-Izzo.
Dirk Naguschewski
© internationales literaturfestival berlin
Das Mädchen aus der Kasbah
Zsolnay
Wien, 1998
Übersetzung: Rolf und Hedda Soellner
Entführer
Haymon
Innsbruck, 2003
Übersetzung: Regina Keil-Sawage
Die Bestrafung der Heuchler
Haymon
Innsbruck, 2005
Übersetzung: Regina Keil-Sawage
La jeune fille et la mère
Seuil
Paris, 2005
Übersetzer: Regina Keil-Sagawe, Dagmar Seidel, Hedda Soellner, Rolf Soellner