Imtiaz Dharker
Imtiaz Dharker wurde 1954 in der pakistanischen Stadt Lahore geboren und war weniger als ein Jahr alt, als ihre Familie nach Glasgow, Schottland, auswanderte. Ihre hybride Identität – sie bezeichnet sich selbst als »schottische muslimische Calvinistin« – in Verbindung mit einem Wanderleben – Dharker lebt abwechselnd in Mumbai, London und Wales – prägt auch ihr Schreiben. Ihre Gedichte hinterfragen die Erfahrung einer immer komplexeren, multikulturellen Welt, in der alte Konzepte wie Heimat, Freiheit, Geschlechterrollen und Glaube zunehmend an Bedeutung verlieren, aber auch wieder neu definiert werden.
Während das lyrische Ich in Dharkers erstem Gedichtband »Purdah« (1989; Ü: Parda), welcher sich mit der Verschleierung muslimischer Frauen auseinandersetzt, noch fragt, wie es nach Hause kommen könne, tragen spätere Werke die Erkenntnis in sich, dass Menschen ihre Heimat manchmal im Moment der Reise finden und nicht an einem Ziel. Zur Lyriksammlung »Leaving Fingerprints« (2009; Ü: Fingerabdrücke hinterlassend) bemerkte ein Rezensent der »Church Times«, Dharkers Gedichte seien sehr persönlich und gleichzeitig intim und international. Übereinstimmend loben Kritiken den ökonomischen Einsatz sprachlicher Mittel, wobei durch diese Zurückhaltung erst Raum dafür entstehe, die verschiedenen Facetten der behandelten Themen zu entdecken, die oft emotional (zu) aufgeladen seien. Auch in ihrem 2014 erschienenen Buch »Over the Moon« (Ü: Über dem Mond) verarbeitet die Dichterin eigene Erfahrungen des Verlusts und der Trauer, aber ebenso der Liebe und Freude, allerdings in gewohnt subtilem lyrischem Ausdruck, der das alle Menschen Verbindende offenlegt und feiert. Sämtliche von Dharker veröffentlichten Lyrikbände wurden von ihr selbst illustriert. Zeichnungen der Künstlerin wurden zudem u. a. in Indien, den Vereinigten Staaten und Frankreich ausgestellt. Prägend für ihre literarische Arbeit sind aber auch ihre Erfahrungen als Autorin und Regisseurin von über hundert Dokumentarfilmen. So erklärt sie etwa zu ihrem Gedicht »The right word« (Ü: Das richtige Wort), sie habe gelernt, dass ein Bild in verschiedene Kontexte gesetzt werden könne, wodurch sich jeweils die Perspektive des Rezipienten und dessen Interpretation ändere. In dem genannten Gedicht changiert ein anonymer Mann entsprechend durch wechselnde, nuancierte Beschreibungen zwischen Terrorist, Freiheitskämpfer und Märtyrer, bevor es am Schluss heißt, er sei »a boy who looks like your son« (Ü: ein Junge, der wie dein Sohn aussieht).
2015 verlieh die englische Königin Dharker die goldene Medaille für Poesie. Einige Gedichte der Schriftstellerin sind inzwischen in den Lehrplänen britischer Schulen verankert, dazu hält Dharker Lesungen für das von ihrem verstorbenen Ehemann Simon Powell begründete »Poetry Live«-Projekt.
Purdah
Oxford University Press
Oxford, 1989
I Speak for the Devil
Bloodaxe Books
Northumberland, 2001
Leaving Fingerprints
Bloodaxe Books
Northumberland, 2009
Over the Moon
Bloodaxe Books
Northumberland, 2014
Idris Khan – Conflicting Lines
Victoria Miro Gallery
London, 2015