Carlos Labbé
- Chile, USA
- Zu Gast beim ilb: 2014
Carlos Labbé wurde 1977 in Santiago de Chile geboren. Sein Studium der spanischen und lateinamerikanischen Literatur schloss er mit einer Arbeit über den chilenischen Schriftsteller Roberto Bolaño ab.
2001 wurde seine Hypertext-Erzählung »Pentagonal: incluidos tú y yo« (Ü: Fünfeck: mit dir und mir) online gestellt, deren Handlung der Leser, ausgehend von einem Zeitungsartikel, durch das Anklicken hervorgehobener Begriffe und die damit verbundenen Sprünge durch ein verzweigtes Netzwerk fragmentarischer Informationen und Zitate selbst (re-)konstruieren muss. Neben einer Sammlung von Kurzgeschichten (»Caracteres blancos«, 2010; Ü: Leerstellen) veröffentlichte Labbé in den folgenden Jahren u. a. die Romane »Libro de plumas« (2004; Ü: Buch der Federn), »Locuela« (2009; Ü: Sprechweise) und »Navidad y Matanza« (2007; »Navidad und Matanza«, 2010). Auch in diesem komplexen Puzzle metaphorisch überladener Erzählungen spielt der Autor mit den Erwartungen seiner Leser. So deutet er das Fehlen ganzer Kapitel, die für das Verständnis wichtig sein könnten, nur durch die Nummerierung an oder stellt die Zuverlässigkeit des erzählenden Journalisten, der das Verschwinden der Kinder eines Videospielproduzenten untersucht, infrage, da dieser auf einer zweiten Erzählebene an einem Experiment teilnimmt, bei dem Versuchspersonen unter Drogeneinfluss im Rahmen eines Erzählspiels gemeinsam die Geschichte der Familie des Produzenten konstruieren. Dass der Leser sich in dem Versuch, die Lücken durch Vermutungen zu schließen, um so seine eigene Deutung der Ereignisse zu entwickeln, am Ende selbst an dem Geschichtenspiel beteiligt, offenbart den philosophischen Tiefgang von Labbés trickreicher Erzählkunst. Auch in dem schwarzhumorigen Drehbuch zu dem Film »Malta con huevo« (2007; Ü: Bier mit Ei), das er zusammen mit Cristóbal Valderrama verfasste und das 2008 mit dem chilenischen Pedro-Sienna-Preis als bestes Spielfilmdrehbuch ausgezeichnet wurde, gerät die Ordnung der Ereignisse schnell aus den Fugen, als eine der Figuren entdeckt, dass sie durch die Zeit reisen kann. In seinem Roman »Piezas secretas contra el mundo« (2014; Ü: Geheime Stücke gegen die Welt) zeigt er aus Hassliebe zu dem Medium Videospiel auf, wie dieses eine vermeintliche Freiheit bietet, aber gleichzeitig oft eine reaktionäre und gewalttätige Weltsicht vermittelt. In dem kurzen Roman »La parvá« (2014; Ü: Die Herde), angesiedelt während der Weltmeisterschaft 1962 in Chile, reflektiert er über die Ähnlichkeit von Fußball, politischen Demonstrationen und Herdenverhalten.
Zu Carlos Labbés weiteren künstlerischen Arbeiten zählen seine Popmusik-Aufnahmen »Doce canciones para Eleodora« (2007; Ü: Zwölf Lieder für Eleodora), »Mi nuevo órgano« (2011; Ü: Mein neues Organ) sowie seine Ambient-Musiksammlung »Repeticiones para romper el cerco« (2011; Ü: Repetitionen, um den Kreis zu durchbrechen). Labbé, 2010 in »Granta« als einer der besten jungen spanischsprachigen Autoren bezeichnet, lebt in Brooklyn.
Pentagonal, incluidos tú y yo
http://pendientedemigracion.ucm.es/info/especulo/hipertul/pentagonal/
Madrid, 2001
Libro de plumas
Ediciones B
Santiago de Chile, 2004
Caracteres blancos
Sangría
Santiago de Chile, 2010
Navidad und Matanza
Lateinamerika Verlag
Solothurn, 2010
[Ü: Peter Tremp]
Piezas secretas contra el mundo
Periférica
Cáceres, 2014