Azar Nafisi
- Iran, USA
- Zu Gast beim ilb: 2007
Azar Nafisi, Tochter einer alteingesessenen Intellektuellen-Familie, wurde 1955 in Teheran geboren. Ihre Mutter gehörte zu den ersten weiblichen Parlamentsmitgliedern, ihr Vater war Bürgermeister von Teheran. Nafisi erhielt ihre Ausbildung weitgehend im angelsächsischen Ausland. Mit 13 Jahren besuchte sie eine Schule im britischen Lancaster, später ging sie in die Vereinigten Staaten, wo sie linken Studentengruppen angehörte und an der University of Oklahoma pr omovierte. 1979, im Jahr der islamischen Revolution, kehrte sie nach 17 Jahren hoffnungsvoll in den Iran zurück und arbeitete als Dozentin für Englische Literatur an der Universität von Teheran.
In ihrem internationalen Bestseller »Reading Lolita in Tehran« (2003; dt. »Lolita lesen in Teheran«, 2005) beschreibt sie vor autobiografischem Hintergrund die bestürzende Verwandlung des Landes in eine religiös-fundamentalistische Diktatur. Schrittweise wird das öffentliche Leben bis ins Kleinste reglementiert, persönliche Freiheit unterdrückt; drakonische Bestrafung von echtem oder vermeintlichem Fehlverhalten führt zu enormem Anpassungsdruck. Als sich Nafisi weigerte, in den Vorlesungen den islamischen Schleier zu tragen, wurde sie 1981 vom Lehrbetrieb ausgeschlossen. Erst sechs Jahre später begann sie wieder zu arbeiten, diesmal an der Allameh-Tabatabai-Universität. Aufgrund wachsender Re pr essionen beendete Nafisi 1995 erneut ihre Lehrtätigkeit und richtete einen pr ivaten Lesezirkel ein, in dem sie mit sieben ausgewählten Studentinnen über westliche Literatur diskutierte. Die von Nafisi geschätzte bürgerliche angelsächsische Literatur (Nabokov, Fitzgerald, James, Austen) war im Iran immer mehr unter das Verdikt der Dekadenz geraten und schließlich verboten oder kaum mehr zu beschaffen. In einem Seminar regten islamistische Studenten sogar einen Prozess gegen den Roman »The Great Gatsby« an. Doch der Text erwies sich in seiner Vielschichtigkeit den sup pr essiven moralistischen Normen gegenüber als erstaunlich widerstandsfähig. Die von der Literatur geförderten Werte wie Phantasie und Einfühlungsvermögen zeigen sich wie Individualität und Pluralität als eigentliche Gegner des Totalitarismus. Was die Mullahs störe, so Nafisi, sei »die Präsentation von individueller Würde. Der Mut von Leuten, die sagen: Wir tun, was wir für richtig halten, wir tun das, was sich für uns richtig anfühlt.«
1997 wanderte Nafisi mit ihrer Familie in die USA aus. Sie veröffentlichte Aufsätze in verschiedenen Anthologien und schrieb für Zeitungen wie »The New York Times«, »The Washington Post«, »The Wall Street Journal« und »New Republic«. Derzeit lehrt sie an der Johns Hopkins University in Washington. »Reading Lolita in Tehran« wurde in mehr als dreißig S pr achen übersetzt und von Publikum und Kritik gleichermaßen begeistert aufgenommen.
© internationales literaturfestival berlin
Lolita lesen in Teheran
DVA
München, 2005
[Ü: Maja Ueberle-Pfaff]
Übersetzer: Maja Ueberle-Pfaff