Attila Bartis
- Ungarn
- Zu Gast beim ilb: 2007
Attila Bartis wurde 1968 in Marosvásárhely, im rumänischen Siebenbürgen, geboren. Seine Familie gehörte der ungarischen Minderheit an, der Vater – ein Journalist – war bis zur Ausreise nach Budapest im Jahr 1984 Re pr essalien ausgesetzt. In der ungarischen Hauptstadt erlernte Attila Bartis den Beruf des Fotografen, in dem er seither tätig ist. Seine Fotografien wurden in verschiedenen Ausstellungen gezeigt.
Nach sechs Jahren Arbeitszeit erschien 1995 Bartis‘ erster Roman »A séta« (dt. »Der Spaziergang«, 1999). Er ist bereits in dem charakteristisch beklemmenden, kühlen Ton gehalten, der auch die folgenden Texte des Autors durchzieht und Kritiker an Kafka, Camus und A.L. Kennedy erinnerte. Geschildert wird eine mit dumpfer Leidensbereitschaft ertragene Kindheit und Jugend in den Zeiten der ungarischen Revolution. Nach dem Tod des Großvaters in ein Heim gebracht, muss die Hauptperson erleben, wie eine geliebte Erzieherin bei einem Angriff getötet wird. Später findet sie Zuflucht in einem Haus, das von skurrilen alten Männern besucht wird, die nach und nach sterben. Das Erwachen des Sexus und das Erwachsenwerden sind nur neue schmerzvolle Erfahrungen. Ein pr ägsame Bilder, karge Dialoge und anekdotenhaft knapp erzählte, merkwürdige bis makabre Handlungsstücke in Form von Erinnerungssequenzen und Abschweifungen schaffen eine Atmosphäre von Freudlosigkeit und Gefühlskälte. Auch Bartis‘ zweites Buch, der Erzählband »A kéklö pára« (1998; Ü: Der bläuliche Dunst), schildert Kindheitserlebnisse vor dem Hintergrund des beengenden kommunistischen Systems aus der naiven Perspektive des jungen Protagonisten, der die Ereignisse nicht immer richtig einordnen kann.
Bartis‘ folgender Roman, »A nyugalom« (2001; dt. »Die Ruhe«) wurde 2005 ins Deutsche übersetzt. Er erzählt von einem jungen Schriftsteller und seiner Mutter, die einst eine gefeierte Staatsschauspielerin war. Als sie nach der Flucht ihrer Tochter ins westliche Ausland nicht mehr auftreten darf, schließt sie sich zu Hause ein und tyrannisiert nun den Sohn, der unfähig ist, sich von ihr zu lösen. Erst eine Liebesbeziehung, die sich ebenso leidenschaftlich wie fragil gestaltet, bringt einen Anflug von Hoffnung in sein Leben. Im oft als Wenderoman rezipierten Werk schafft das Ende der kommunistischen Diktatur keine Wende für die Gefühlswelten der Protagonisten.
Zuletzt veröffentlichte Bartis eine zwölfteilige Folge von literarischen Aufsätzen unter dem Titel »A Lázár apokrifek« (2005; dt. »Die Apokryphen des Lazarus«, 2007), die er monatlich für die Literaturzeitschrift »Élet és Irodalom« geschrieben hatte. Es sind Reflexionen über den Alltag und das Schreiben, Reiseberichte und überwiegend quälende persönliche Erinnerungen und Erlebnisse, die als zwölf »wahre Geschichten über Gott« gestaltet werden.
Bartis erhielt sowohl für sein fotografisches als auch für sein literarisches Werk mehrere Stipendien, darunter das Móricz-Zsigmond-Stipendium für seinen ersten Roman. Er wurde mit dem Tibor-Déry-Preis und dem Márai-Preis ausgezeichnet und lebt in Budapest. Zurzeit ist Bartis ein Gast des Berliner Künstler pr ogramms des DAAD.
© internationales literaturfestival berlin
A séta
Balassi Kiado
Budapest, 1995
A kéklö pára
Magvető
Budapest, 1998
Der Spaziergang
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 1999
[Ü: Hans Skirecki]
A nyugalom
Magvetö
Budapest, 2001
Die Ruhe
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2005
[Ü: Agnes Relle]
Spokój
Wydawnictwo W.A.B.
Warszawa, 2005
Die Apokryphen des Lazarus
Suhrkamp
Frankfurt/Main, 2007
[Ü: László Kornitzer]
Übersetzer: László Kornitzer, Agnes Relle, Hans Skirecki