Anne Waldman
Anne Waldman wurde 1945 in New Jersey, USA geboren. Sie wuchs in Greenwich Village in einem künstlerischen Elternhaus auf. Ihre Mutter hatte während der dreißiger Jahre in Griechenland gelebt, wo sie der utopischen Gemeinschaft um den griechischen Poeten Anghelos Sikelianos angehörte und dessen Werk übersetzte; ihr Vater war ein umherziehender Pianist, der nach seinem in Deutschland absolvierten Militärdienst während des 2. Weltkrieges die Möglichkeit erhielt, ein College zu besuchen. Schon in der Grundschule begann Anne Waldman, Gedichte zu schreiben und sich für Performance zu interessieren, als sie während ihrer Highschoolzeit beim Stratford Shakespeare Festival in Connecticut arbeitete.
Ein Schüsselerlebnis für Waldman war der Besuch der Berkeley Poetry Conference im Sommer 1965 (der Sommer vor ihrem Abschluss auf dem Bennington College, wo sie gemeinsam mit Howard Nemerov und Bernard Malamud studierte). Dort traf sie Allen Ginsberg sowie Charles Olson und gründete den alternativen Verlag „Angel Hair Magazine and Books“.
Sie leistete einen „Eid auf die Dichtung“ und verpflichtete sich, alternativen Dichtervereinigungen bei ihrer Förderung und Entwicklung zu helfen; ein Eid, dem sie ihr Leben lang treu blieb.
Schließlich wurde sie Assistenzdirektorin und später die Leiterin des Dichterprojekts der „St. Mark’s Church in the Bowery“, wo sie sowohl Lesungen mit Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Gary Snyder und Gregory Corso als auch mit Vertretern der Punk-Lyrik der siebziger Jahre wie Patti Smith und Lou Reed veranstaltete.
Selbst eine produktive Schriftstellerin trat Anne Waldman mit Lese-Performances ihrer eigenen Gedichte innerhalb und außerhalb des Landes auf. 1975 veröffentlichte Lawrence Ferlinghettis Verlag City Lights Book ihr Gedicht „Fast Speaking Woman“. Zwischen 1975 und 1976 war Anne Waldman Poet-in-Residence bei Bob Dylans „Rolling Thunder Review“ und hatte einen Auftritt in seinem Film „Renaldo & Clara“.
Waldman trat neben anderen Künstlern auf Poesiefestivals in London, Amsterdam, Bhopal, Indien, der Tschechischen Republik, Columbia, S.A. und Berlin auf.
Zusammen mit ihrem engen Freund Allen Ginsberg gründete sie die Jack Kerouac School of Disembodied Poetics an der buddhistisch orientierten Naropa-Universität in Boulder, Colorado, wo sie zurzeit die Vorsitzende und Artdirektorin des Energetic Summer Writing Programme ist und sich dafür einsetzt, das riesige Audio-Archiv, das sich im Besitz der Schule befindet, zu erhalten. Es versammelt historische Lesungen, Podiumsdiskussionen, Vorlesungen zahlreicher Schriftsteller und Performer, darunter Beat-Lyriker wie Diane diPrima, Ginsberg, Burroughs und John Cage, John Ashbery, Robert Creeley sowie anderen Anhängern der experimentellen Strömung der „New American Poetry“. Sie ist Herausgeberin mehrerer Anthologien, die auf diesem Material basieren. Außerdem leitete sie das Naropa-Auslandsstudium-Programm nach Bali, Indonesien, wohin sie selbst regelmäßig reist.
Sie lehrt zudem am Institute of American Indian Arts in Santa Fe, New Mexiko, und besucht zahlreiche Colleges, Universitäten und Kunstzentren des Landes, an denen sie Vorträge hält und ihre Werke präsentiert. 1985 war sie Mitgestalterin des India Poetry Festival in den USA und nahm Dichter aus Indien an der Naropa-Universität auf. Einige Jahre arbeitete sie mit der Schule für Dichtung in Wien zusammen und unterstützte lyrische Projekte in der Tschechischen Republik. In letzter Zeit engagierte sie sich in der pädagogischen Fraktion des Bowery Poets Club in New York.
Kulturell immer aktiv organisierte die „Poetin der Infrastruktur“ mehrere „kulturelle Interventionen“ und politische Kundgebungen mit den „Poets Against the War“ und der „Poetry Is News“-Gruppe, die sie zusammen mit Ammiel Alcalay gegründet hatte, einem bekannten Übersetzer von Literatur aus Bosnien und dem Mittleren Osten.
Seit 1970 ist Anne Waldman praktizierende Anhägerin des tibetanischen Buddhismus. Sie ist Mitübersetzerin der „Songs of The Sons and Daughters of Buddha“ – mündliche Überlieferungen, die bis in die Zeit Buddhas zurückgehen und 350 Jahre später niedergeschrieben und in den Pali-Kanon aufgenommen wurden. Ihre Arbeit ist von einem tiefen Interesse an den mündlich überlieferten Anfängen der spirituellen und schamanischen Tradition geprägt. „Meine Dichtung soll eine Erfahrung der vielfältigen Möglichkeiten sein“, sagt Anne Waldman. „ Ein Gedicht muss vom Papier in den öffentlichen Raum befördert werden, als ein dramatisches Erlebnis oder öffentliches Ritual.“
Über die Jahre hinweg arbeitete sie mit den Jazzmusikern und Komponisten Don Cherry, Steve Lacy, den Tänzern Barbara Dilley und Douglas Dunn und den Künstlern Richard Tuttle, Susan Rothenberg und Elizabeth Murray zusammen.
Unter ihren neuesten Werken sind „In the Room of Never Grieve“ (Ü: Im Raum des Niemals Trauerns), eine Sammlung neuer und ausgewählter Gedichte mit einer von ihrem Sohn, dem Musiker und Komponisten Ambrose Bye, produzierten CD. Anne Waldman hat mehr als 30 Gedichtbände und ca. 50 Bücher veröffentlicht. Dazu zählen „IOVIS, Books 1&2“ (1993/97), „Kill or Cure“ (1994; Ü: Töten oder heilen), „Marriage: A Sentence“ (2000; Ü: Ehe. Ein Urteil), „Vow To Poetry: Essay, Interviews & Manifestos“ (2001; Ü: Eid auf die Dichtung) und das kürzlich erschienene buddhistische Langpoem „Structure of the World Compared to a Bubble“ (2004; Ü: Struktur der Welt im Vergleich mit einer Blase), das auf einer Pilgerreise zum Denkmal Borobudur Stupa in Java basiert. Ein neues Buch mit Gedichten, Essays und Interviews (darunter ein Gespräch mit dem nicaraguanischen Dichter Ernesto Cardenal) trägt den Titel „Outrider“ (Ü: Vorreiter) und wurde 2006 veröffentlicht. Zu ihren Anthologien zählen „The Beat Book“ und „Civil Disobediences: Poetics & Politics in Action“ (Ü: Ziviler Ungehorsam: Poetik & Politik in Aktion).
Waldman wurde mit dem Shelley Award for Poetry ausgezeichnet, eine von vielen Ehrungen für ihr Werk. Sie erhielt Stipendien des National Endowment for the Arts, der Foundation for Contemporary Performance Art und der Poetry Foundation. 2006 war sie Fellow am Bellagio Center der Rockefeller Foundation und Teilnehmerin des Dodge-Festivals. Die Lyrikerin lebt in New York City und Boulder, Colorado.
© internationales literaturfestival berlin
The beat book [Hg.]
Shambhala
Boston, 1996
Kill or Cure
Penguin Poets
New York, 1996
Fast speaking Woman: chants and essays
City Lights
San Francisco, 1996
Iovis: Book II
Coffee House Press
Minneapolis, 1997
Marriage
Penguin
New York, 2000
Vow to Poetry
Coffee House Press
Minneapolis, 2001
Dark arcane
Heaven Bone Press
Chester, 2003
In the room of never grieve: new and selected poems, 1985-2003
Coffee House
Minneapolis, 2003
Civil disobediences: poetics and politics in action
Coffee House
Minneapolis, 2004
Structure of the world compared to a bubble
Penguin Poets
New York, 2004
Outrider
La Alameda Press
Albuquerque, 2006
[Ü: Jürgen Brôcan]
Red Noir (performance pieces)
Farfalla, McMillen & Parrish
2007
Manatee/Humanity
Penguin Poets
New York, 2009
Beats at Naropa
Coffee House Press
Minneapolis, 2009